Bettina Korte
Gilian V: Eisschatten - Leseprobe
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Im Park war es noch schöner als in den Gassen. Hier schien die Ruhe fast grenzenlos zu sein, jedes Geräusch war so leise, als würde es aus einer anderen Welt stammen. Die beiden dunklen Gestalten schlenderten langsam über die weißen Wege. Wenn man ihre Spuren verfolgte, dann sah man, dass sie am Anfang des Weges noch weiter auseinander gewesen waren. Jetzt, kurz vor dem großen Springbrunnen, waren sie ganz dicht beieinander.
Samuel hatte seinen Arm um sie gelegt, langsam gingen sie zu einer Bank, die neben dem Brunnen stand. Der war über und über mit Eis bedeckt, der Wintereinbruch hatte die Verantwortlichen wohl überrascht. Doch Alicia empfand das als Glück. Die marmornen Figuren schienen wie verzaubert und erstarrt in ihrer Bewegung. Sie wirkten wie eine Gruppe aus einer anderen Welt, einer Welt, in der nichts mehr zählt außer dem Moment. Sie dreht leicht den Kopf und sah, dass auch Samuel von der Szenerie gefangen war. Der Zauber des Moments hatte sie beide fest in seinem Griff, als sich Samuels Lippen ihrem Gesicht näherten, gab es für Alicia kein Zögern.
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In ihrem Hotelzimmer hatte eine andere Macht übernommen.
Alicia lief unruhig auf und ab, an Schlaf war nicht zu denken, ihr schlechtes Gewissen hatte sie jetzt völlig im Griff. War sie denn wirklich von allen guten Geistern verlassen gewesen? Sie hatte es zugelassen, dass sie George betrog, auf einer Bank im Park, vor einem vereisten Wasserbrunnen. Noch nicht einmal bis zu seiner Wohnung hatte sie warten können. Ihr schien es, als hätte die vergangen Stunden eine andere erlebt. Sie hatte mittlerweile ihr Leben unter Kontrolle, sie liebte ihren Freund und ihr ruhiges Leben. Ihr sicheres Leben. Doch dieses andere Ich hatte das alles aufs Spiel gesetzt. Das durfte nie jemand erfahren! Niemals. Das war sicher. Noch nicht mal Gilian würde ein Wort davon zu hören bekommen. Darauf trank sie ein Glas Champagner.
Das ‚Ping‘ des Mailprogrammes riss sich aus ihren Gedanken. Auf ihrem Laptop sah sie, dass sie eine Nachricht von George hatte. Nur ein Link. Nichts sonst. Sie klickte auf den Link und als sich das Fenster aufgebaut hatte, sank sie weinend vor dem Computer zusammen.
Auf einer Videoplattform war mithilfe von 720 Pixeln zu sehen, wie sie Sex mit einem Tänzer vor einem Brunnen hatte.
Was sollte sie denn nur tun? Sie griff zum Handy.
ebook
~ 109 Seiten (Paperback)
ISBN 978-3-943248-29-6 (mobi)
ISBN 978-3-943248-25-8 (epub)