Bettina Korte
Liebe in Zeiten von Ehec - Leseprobe
Der Beginn der langen Nacht
Die Nacht würde noch länger werden als befürchtet, denn das Kartenstudium wurde dem Navy geopfert. Die Strecke wäre, laut Karte, und laut Chris Erfahrung auf dem Hinweg, recht einfach gewesen, einfach auf die Bundesstraße friemeln, die fahren, bis sie zu Ende ist und dort zweimal abbiegen und damit direkt auf die Autobahn. Kein Thema.
Das Navy fand das aber unnötig. So fuhren sie zunächst durch pittoreske kleine Dörfer. Pittoresk für den, der das Makabre liebt, einen Faible für Untergang und Verfall hat. Chris lernte dabei, dass Birken mitten aus Häusern wachsen können. Das Loch im Dach muss nur groß genug sein. Außerdem wurde ihr schmerzlich klar, warum selbst Profiradsportler das Pavé fürchten. Es muss nur buckelig genug sein, und wenn hin und wieder ein Stein fehlt, erhöht das nur den Gesamteindruck.
Schließlich fand sie die Straße auf keiner Karte mehr. Mit gutem Grund. Stillgelegte Truppenübungsplätze waren ja früher mal militärische Geheimsache, deshalb war die Straße auch gar nicht auf einer profanen Karte zu finden. Das Navy hatte das aber trotzdem geschafft. Chapeau. Die Sonne über der von Panzern zerpflügten Landschaft untergehen zu sehen, das hatte schon etwas bizarr Phantastisches.
Auch dem hätte Chris schon einen bizarren Charme abgewinnen können. Wenn da die Frage des Tankes nicht immer lauter einen passenden Platz in ihren Gedanken gesucht hätte. Einen sehr prominenten Platz. Sprit für 17 km, für knappe 40 einen Reservekanister, und mitten in Dunkeldeutschland gestrandet. Um kurz vor zehn abends dort eine Tanke zu finden, das dürfte nicht allzu leicht sein.
Schließlich fanden sie ihren Weg von der Heide in die Plattenbausiedlung und dort eine offene freie Tanke. Wenn schon Pläne nicht funktionierten, so wurde zumindest das ein oder andere Wunder als Entschädigung geschickt.
Skinheads im real existierenden Marxismus
Die Tanke wirkte wie etwas, was sich selbst der schlechteste Autor der Scripted-reality Formate wohl kaum auszudenken gewagt hätte. Vor der Tankstellenkasse eine Glatze. Mit Bermudahose mit drei Streifen, den passenden Schuhen und sonst nix. Die nackte Plautze, die bedenklich weit über die Gürtellinie hing, war gebräunt und prall. Kein Wunder, denn Biergenuss in der Hitze macht auch Hähnchen knackig. Nur sind die appetitlich. Die zweite Glatze war zumindest recht vollständig bekleidet. Und ein wenig nüchterner.
ebook
~ 99 Seiten (Paperback)
ISBN 978-3-943248-11-1 (mobi)
ISBN 978-3-943248-06-7 (epub)